Grundsätzlich ist es nie zu spät, ein Instrument zu erlernen. Es kommt lediglich darauf an, welchen Anspruch der Lernende an sein Spiel stellt. Nicht selten ist es ein langgehegter Wunsch, der
aus vielerlei Gründen in der Kindheit nicht erfüllt werden konnte, ein bestimmtes Instrument zu erlernen. Manchmal entsteht der Wunsch auch erst, wenn die eigenen Kinder mit dem
Instrumentalunterricht beginnen und die Eltern „lernen mit“.
Erwachsene haben meist eine genaue Vorstellung vom Klang, die Feinmotorik ist keineswegs „eingerostet“, jedoch ungeübter und deshalb etwas schwerfälliger anmutend als bei Kindern, die ohnehin
noch mitten im Lernprozess auf allen Bereichen stecken. Wer sich darauf einlässt, auch als Erwachsener wieder „Anfänger“ zu sein, sich mit simpel erscheinenden Übungen zu beschäftigen, wer viele
Wiederholungen und kleine Lernschritte akzeptieren kann, dabei aber ein Ziel vor Augen hat – mit der Familie zu Weihnachten Hausmusik machen zu können oder in einem kleinen Laienensemble
mitzuspielen – kann viel Freude und Bestätigung mit seinem Instrument erfahren.
Gleichermaßen haben behinderte wie nicht behinderte Menschen Freude am Musizieren. Die Beschäftigung mit Musik nimmt in ihrer Freizeit einen großen Raum ein. Sie sind – in individuell unterschiedlicher Ausprägung – fähig, Musik zu erleben, zu hören und selbst auszuüben. Wenn es um das Instrumentalspiel geht, ist eine Musikschule auch für sie der richtige Ort. Hier werden ihnen Wege zum aktiven Musizieren aufgezeigt und neue Möglichkeiten geboten, die Freizeit sinnvoll und selbsttätig zu gestalten.
Die musikalische Zielsetzungen der Musikschule werden durch den Unterricht mit behinderten Kindern in keinster Weise in Frage gestellt. In der musikalischen Arbeit mit Behinderten werden – wie mit Nichtbehinderten auch – musikalische Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Kenntnisse über Musik vermittelt. Der Unterricht muss – und das gilt nicht nur in der Sonderpädagogik – in Zielsetzung und Methodik an den individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler anknüpfen. So wird gemeinsames Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern im schulischen wie im außerschulischen Bereich zum Glück immer selbstverständlicher.
Für Behinderte und auch für die Eltern behinderter Kinder ist es eine ungewöhnlich positive Erfahrung, wenn der behinderte Mensch unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit angenommen wird und wenn
es gelingt, Kindern und Eltern Formen des gemeinsamen Musizierens zu erschließen, denn: behindert ist auch normal!
So möchte ich allen Kindern und Erwachsenen mit Behinderung hilfreich zur Seite stehen, die den Wunsch haben, ein Instrument spielen zu lernen.
Bei Blockflöte gibt es von der Firma Mollenhauer gut durchdachte und individuell angefertigte Umbauten, von zusätzlichen Klappenmechanismen bis hin zur Einhandflöte, fast nichts
ist hier unmöglich.
Die Geige ist erstaunlich variabel, was die Haltung angeht, ob in der klassischen Haltung am Hals oder locker an Schulter oder Bauch gelehnt, ob in „Cello“-Haltung auf den Knien,
jeder kann seine individuelle Haltung finden und praktizieren. Auch für die Bogenhaltung gibt es unzählige Möglichkeiten, nichts ist „falsch“!
Für den Unterricht mit behinderten Menschen stehen auch zwei fünfsaitige Fideln zur Verfügung, die man ebenfalls auf den Knien hält. Sie verfügen über Bünde, ähnlich der Gitarre,
die sauberes Greifen der Töne erleichtern. Der warme Streicherklang und die Körperbewegung zur Tonerzeugung wirken sehr ansprechend auf Menschen mit Behinderung.
Das Saitenspiel erscheint mir auch sehr geeignet, man kann es am Tisch sitzend oder auf dem Schoß spielen, die 10 Saiten sind ein überschaubarer Tonraum. Ideal für Menschen, die
gerne singen und sich selbst dabei begleiten möchten.
Auch das gesamte Orff-Instrumentarium gibt Möglichkeit, sich musikalisch auszudrücken, denn oftmals ist Musik das einzige Ausdrucksmittel für behinderte Menschen. Ob Trommeln,
Rasseln, Triangel oder Klanghölzer, alles ist möglich.
Ensemblespiel ist auch im Behindertenbereich eine wichtige Ergänzung zum Einzelunterricht. Vor allem das Mitwirken in einer integrativen Gruppe gibt Freude, Motivation und
Bestätigung.
Alle Gruppenangebote von Musik in Bewegung über die Früherziehung bis hin zu Orff-Gruppe oder Instrumentenkarussell sind
selbstverständlich integrative Gruppen.
Integration heißt: jeder Mensch (egal ob behindert, alt, reich, arm, „normal“) erhält gemäß seinen individuellen Möglichkeiten eine musikalisch/instrumentale Förderung, mit den
Hilfestellungen, die er, so lange wie nötig braucht und das Forum, seine Fähigkeiten in musikalisch/instrumentalen Gruppen einzubringen.
Der Prozess der Integration führt schließlich zu einer Pädagogik, in der alle Kinder in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau und mittels ihrer momentanen Denk- und
Handlungskompetenzen an und mit einem gemeinsamen Gegenstand lernen und arbeiten.
Jeder Mensch ist frei und gleich geboren, um das Recht zu haben, verschieden zu sein.
(Johannes Beierlein)
Ich bin dankbar für die wundervollen Erfahrungen, die ich bereits machen durfte im Instrumentalunterricht mit Kindern mit Down-Syndrom, mit Lernbehinderung oder mit halbseitiger Erblindung und
würde mich sehr freuen, wenn ich die Neugier bei Eltern von Kindern mit Behinderung geweckt habe und sie den Weg zum „Musikstübchen“ finden werden. Hier wird jedes Kind angenommen wie es ist,
gleich ob mit Behinderung oder Hochbegabung. Ich bin stets darum bedacht, ein jedes in seiner ihm eigenen und möglichen Weise zu fördern und die Freude an der Musik zu bestärken.